Teilzeitauswanderer diversifizieren. Sie lieben die Abwechslung, sie wollen sich nicht auf ein Land festlegen.
Tina Ellen wollte schon als Kind an einem sonnigen Ort am Meer leben. 2018 flog die Ur-Berlinerin One-Way nach Bangkok und reiste drei Jahre non-stop durch Südostasien. Seit 2022 ist Tina Teilzeitauswanderin und teilt sich ihre Zeit zwischen Italien und Berlin auf.
Was hat dich bewogen, nicht mehr dauerhaft in Deutschland zu leben?
Mit 15 habe ich meinen Eltern im Zypern-Urlaub gesagt, dass sie leider ohne mich zurückfliegen müssen und ich das Abi ja später machen kann. Ich war verliebt und meine zukünftigen „Schwiegereltern“ hatten mir einen Job in ihrem Restaurant angeboten. Daraus wurde glücklicherweise nichts! 🙂
Ich habe mit 18 eine Ausbildung zur Restaurantfachfrau gemacht und danach die Hotelfachschule besucht, um später eine Cocktailbar am Strand zu eröffnen. Inspiriert von Tom Cruise und dem Film „Cocktail“. Ich habe dann später auch ein Jahr in der Karibik als Barkeeperin gearbeitet und meine Pläne weiter verfolgt. Der Wunsch nach beruflicher Selbständigkeit und Fernweh war immer da, aber die Möglichkeiten durch die Digitalisierung noch nicht.
Wie teilt sich das Jahr bei dir auf? Wo lebst Du, wenn Du nicht in Deutschland bist?
Da meine Mutter krank ist und meine Tochter in Berlin studiert, verbringe ich wieder mehr Zeit in Deutschland. Ich teile das auf: einen Teil des Jahres auf Reisen, den anderen Teil mit der Familie und Freunden in Berlin. Die letzten Jahre habe ich in Malaysia, Indonesien, Thailand und Vietnam verbracht. 2022 in Italien und Berlin.
Welche bürokratischen Hürden hattest Du zu überwinden?
Am Anfang gar keine. Ich habe mich aus Deutschland komplett abgemeldet, habe das meiste verkauft und bin mit einem One-Way-Ticket nach Thailand geflogen. Es war ein unglaubliches Freiheitsgefühl, wenig Besitz mitzunehmen. Die Probleme mit den Banken und dem Business kommen erst, wenn man länger reist.
Gerade als Selbständiger oder Freelancer, wenn man Rechnungen schreiben möchte, braucht man einen Firmensitz und für Banken häufig eine Meldeadresse. Ich hatte weiterhin eine Postadresse in Deutschland, das war in vielerlei Hinsicht hilfreich. Langfristig empfehle ich, eine Residenz/Wohnsitz oder zumindest Firma anzumelden. Das kann in Deutschland sein, auf Zypern, Spanien, Dubai, USA oder sonstwo – je nachdem, wo der Lebensmittelpunkt ist und was man für ein Unternehmen führt.
Welche emotionalen Hürden hattest Du zu überwinden?
Da meine Tochter kurz zuvor für Work&Travel nach Australien gezogen ist, wäre es für mich eine grössere emotionale Hürde gewesen, in Deutschland zu bleiben. Von meinem Freund hatte ich mich getrennt, ich war Single. Ich hatte allerdings auch nur drei Monate geplant und nicht drei Jahre. Da ich mit meiner Tochter eine enge Verbindung habe, habe ich Südostasien gewählt, von dort aus ist Australien gut erreichbar.
Wir haben uns dann in Thailand, Malaysia und auf Bali getroffen. Sonst hätte ich vielleicht Mexiko als erstes Ziel gewählt. Andere treffen sich am Sonntag zu Kaffee und Kuchen, wir eben auf Bali oder in Malaysia auf eine Kokosnuss.
Tina, Teilzeitauswanderin
Wie hat sich dadurch deine berufliche Situation verändert?
Mir ist noch bewusster geworden, wie wichtig mir ein ortsunabhängiges Business ist. Ich habe mehrere Standbeine: Controller bei einer Bildagentur, Social-Media-Marketing und Copywriter und Autorin für Magazine und Kunden. Auch mein Ernährungswissenschaft-Studium ist online, damit habe ich im Lockdown in Malaysia angefangen. Ein weiteres eigenes Business ist geplant. Ich habe einige verlockende Jobangebote trotz sehr guter Bezahlung abgelehnt, da ich dann dauerhaft in Deutschland als Angestellte leben müsste. Oder ein Chef darüber entscheidet, wie mein Tagesablauf aussieht. Daran ist nichts Schlechtes, es ist aber nichts für mich.
Wie fühlt sich dein Lifestyle als Teilzeitauswanderer im Vergleich zu früher an?
Dass ich Ende 2018 mit One-Way-Ticket nach Bangkok geflogen bin, war die beste Entscheidung meines Lebens! Ich habe auch gemerkt, dass ich nicht unbedingt in einer Metropole leben muss. Die Lebensqualität und der Lifestyle in einer kleineren Stadt oder auf einer Insel wie Bali ist oft hochwertiger, entspannter und gesünder. Ein Leben in atemberaubender Natur, Mittagspause im Beach-Club, Sonnenuntergang mit Partner, Tochter oder Freunden ist für mich eine unbezahlbare Lebensqualität.
Wenn du als Europäerin in Ländern wie Thailand oder Mexiko lebst, musst du keine Milliardärin sein, um dir täglichen Luxus leisten zu können. Ein Apartment mit Strand oder Skyline-Blick, Pool und Gym ist normaler Standart bei Deutschen in Südostasien. Auch ein eigenes Haus mit Pool ist bezahlbar.
Je nachdem, wie hoch das Einkommen ist, geht das auch in Ländern mit höheren Fixkosten – wie zum Beispiel Dubai oder Spanien. Was aber viel wichtiger ist, ich möchte dafür keine 8-10 Stunden am Tag arbeiten. Die schönsten Dinge – wie jeden Tag Sonne und Zeit den Tag zu geniessen – gibt es sogar gratis. Das gilt allerdings nur für Ausländer und eine Schicht privilegierter Locals. Der Rest schuftet in Ländern wie Indonesien oder Thailand ohne Arbeitsschutz und Mindestlohn. Durch die Digitalisierung entstehen aber neue Chancen: Meine thailändische Vermieterin in Chiang Mai hat sich mit wenig Startkapital mit einem Airbnb-Business selbstständig gemacht, ich war ihre zweite Mieterin. Ich habe ihr geholfen, das Business zu automatisieren und zu verbessern, jetzt reist sie durch Vietnam.
Die Covid-Krise war deshalb ein ganz heftiger Rückschlag für viele. Sie haben ihr Business aufgegeben und mussten in ihre Dörfer zurückkehren.
Aber zurück zu mir… speziell beim Teilzeitmodell als Nomadin geniesse ich die Zeit in Deutschland viel mehr als früher. Ich bin für vieles dankbar, mal ohne Klimaanlage und mit Fenster auf schlafen ist herrlich. Kerzenschein und Glühwein mit Freunden, wenn es draussen kalt ist. Sauberes Trinkwasser und vernünftiger Wasserdruck beim Haare waschen 😄 Und keine Kakerlaken!
Es sind viele Dinge, über die ich mich freue, wenn ich in Deutschland bin. Menschen um mich zu haben, die mich ohne Worte verstehen, über den gleichen Unsinn lachen und mich seit Jahren kennen.
Seit ich jederzeit weg kann, regt mich wenig auf. Ich beschäftige mich nur noch mit Dingen, die ich beeinflussen kann. Was meine Familie betrifft, die Situation der älteren und pflegebedürftigen Menschen in Deutschland, die Zukunft unserer Kinder – das hat mich auch am Strand auf Bali bewegt, denn ich bin nicht nur Weltreisende, sondern auch Mutter und Tochter.
Ich geniesse aktuell die Zeit in Berlin – Das ganze Jahr über kann ich mir aber nicht mehr vorstellen in Deutschland zu leben.
Welche Schattenseiten hat ein Leben als Teilzeitauswanderer?
Das hängt von der persönlichen privaten Situation ab und der Wahl des Landes. Wenn man einen Partner hat, der beruflich fest an einen Standort gebunden ist das ganze Jahr, wird es dauerhaft schwierig in der Beziehung. Auch die steuerlichen Vorteile sind für Teilzeitauswanderer geringer.
Für alle, die Zeit mit Freunden und Familie aus der Heimat verbringen möchten, ist Teilzeitauswanderer ein interessanter Lifestyle. Dann empfehle ich als Base aber eher ein Land in Europa, da ist man schneller mal in Deutschland.
Teilzeitauswanderer zu sein, erfordert in jedem Fall Organisationstalent und Flexibilität. Auch wenn Geo-Arbitrage ein großer Pluspunkt des zeitweiligen Auswanderns ist, sollte einem bewusst sein, dass die Preise weltweit steigen – natürlich gerade auch dort, wo viele Touristen hingehen.
Welchen Tipp würdest Du Menschen geben, die darüber nachdenken, in Teilzeit auszuwandern?
Ich habe Deutschland gleich mit One-Way-Ticket nach Thailand für drei Jahre verlassen. Das ist die hardcore Version. Als Teilzeitauswanderer kann man eigentlich nicht viel falsch machen.
Hier sind meine fünf Tipps:
- Suche nicht nach dem perfekten Land, denn das gibt es nicht! Wer denkt, vor den Problemen in Deutschland weglaufen zu können, irrt. In anderen Ländern haben die Menschen auch Sorgen. Sie gehen es aber oft besser gelaunt und entspannter an. Suche dir das Land danach aus, wo es Probleme gibt, die dir Spass machen sie zu lösen oder die dich weniger betreffen. Hör auf dein Herz! Nur weil man in einem Land günstig leben kann und dort die Sonne scheint, muss es nicht zu dir passen. Was sind deine Top-5-Prioritäten? Bei mir ist es unter anderem warmes Wetter, vegetarisches Essen in guter Qualität und grosser Auswahl, schnelles, stabiles Internet und komfortable Wohnmöglichkeiten zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis, am Meer wohnen. Das ist bei jedem anders und Du solltest wissen, was Du willst.
- Mit den Planungen anfangen und einfach machen. Gleichgesinnte suchen, online in Nomaden-Gruppen schauen und dann einen festen Zeitpunkt setzen und das Ticket buchen. Mit ganz viel Vorfreude rangehen!
- Wenn zu viele Zweifel hochkommen, an den eigenen Glaubenssätzen und am Mindset arbeiten. Und an der Eigenständigkeit. Es können kleine Schritte sein – mal alleine in eine andere deutsche Stadt fahren, diese erkunden und Laptop mitnehmen. In das Gefühl reingehen.
- Wenn dein Job oder Business dich daran hindert – check mal, ob Du das digitalisieren kannst. Es muss nicht jeder digitale Nomade Coach oder IT-Experte sein. Oder ob Du das Wissen, das Du dir bereits im Beruf erworben hast, nicht für eine Beratungstätigkeit nutzen kannst. Es muss auch nicht jeder gleich Unternehmer werden, Du kannst auch als Freelancer oder angestellter Mitarbeiter anfangen, wenn Du einen toleranten Chef hast, der Homeoffice ermöglicht. Das Wichtigste ist, überhaupt mal zu starten.
- Ganz wichtig: Du wirst es nie allen Recht machen! Es wird immer Menschen geben, die deinen Lebensstil nicht gut finden oder dir das ausreden wollen. Es ist dein Leben und wenn Du glücklich bist, profitieren am Ende alle davon. Anfangen ist wichtiger als sich monatelang Tipps zu holen, denn der perfekte Zeitpunkt kommt nie!
Besucht Tina Ellen auf jeden Fall auf Instagram, wo sie als Jetlagrebel unterwegs ist!